Ich habe immer gedacht, ich wüsste, was Tee ist und Tee-Expertin bin ich allein schon deshalb, weil ich welchen getrunken habe. Tee-Zeremonien kannte ich nur aus Filmen wie „Die Geisha“ als stilles, wohltemperiertes, meditatives Zelebrieren einer Tätigkeit, die bei mir selbst nur ein paar Minuten dauerte. Meine eigene Tee-Zeremonie besteht seit jeher aus Teebeutel in die Tasse versenken, Wasser aufgießen und so lange Milch und Zucker beigeben, bis der Tee wie Spülwasser aussieht. Als uns also Suresh zu einer Tee-Zeremonie nach Stuttgart lud, war ich sicher, er würde uns in einem Kimono das Teewasser aus einem halben Meter Abstand in die Tassen einschenken. Ach ja, und wir würden alle dabei schweigen.
„Kardamom löst die Zunge und fördert die Redseligkeit,“ sagt Suresh und kippt von diesem geschwätzigen Gewürz großzügig in den Topf. Den Zweck indischer Tee-Zeremonien reicht er hinterher: wenn Menschen und Familien zusammenkommen, bedeutet es nicht, dass sie sofort zueinander finden. Schüchternheit, aber auch jahrelange Konflikte hemmen den Redefluss und die Menschen daran, sich einander zu öffnen. Anis gibt Suresh bei, das macht munter, und Zimtstangen, die die Durchblutung fördern und Verspannungen lösen. Und Nelken, aus praktischen Gründen, gegen Zahnschmerzen und Mundgeruch. Einen Ingwer-Tee trinken wir danach: Energiemangel baut er ab und die Seele baut er auf.
Hausherrin Irina hat ein Tablett mit zwölf Feldern aufgebaut. Suresh pflanzt einen kleinen Elefanten in die Mitte, als Zeichen von Klugheit und Stärke. Ein jeder bekommt ein Teelicht in die Hand und nun wandert die Flamme von Kerze zu Kerze, wird jeder nach seinem Geburtsmonat in den Kreis gefügt: Arne, Regina, Nazan, Silvia, Ricardo, Irina, Suresh… Ich kann mich diesem Ritual nicht entziehen, ich bin ruhig und aufgeregt zugleich. Mein Lichtlein steht einsam im Maienfeld, das erste Jahresquartal ist voll gepackt. Suresh erklärt die Harmonie und die Gegengewichte, die wir zueinander bilden und schließt damit, dass Menschen von diesen Gewichten meist nichts wissen, wenn sie einander begegnen. (Ich wünsche mir heimlich, ich hätte bei jedem Treffen mit Freunden und Familie so ein Tablett platziert.)
Irina reicht Brot, Kuchen und russische Kaviar-Häppchen zum Tee; der Tisch ächzt unter den Leckereien der Hausherrin. Der Haushund liegt zufrieden unter dem Tisch auf meinem Fuß und obenauf sitzen elf Menschen, die nun lachen, erzählen, gestikulieren, planen und zuhören. Ricardo singt, Silvia erzählt, ich lese etwas vor. Ich erfahre, dass das englische Wort „sword“ das „word“ beinhaltet. Warum ist mir das nie aufgefallen?
Als das erste Kerzlein ausgeht, ist die Tee-Zeremonie vorbei. Drei Stunden voller Geschichten, Lachen, Essen, Gesang. Drei Stunden voller Ewigkeit. Andalusien, Afrika, Türkei, Russland, Indien, Italien, Berlin (nicht zu verwechseln mit Hamburg!), Ludwigsburg und dem Gmünder Hallenbad.
Und mit einem nächsten Treffen. Und mit Ermunterungen zum Schreiben und Tipps zum Veröffentlichen. Und der Idee für genau diesen Blog, der unsere Zungen lösen soll.
Ich reise beseelt noch am selben Abend nach Mainz zurück und bereue keinen einzigen Kilometer.
akrizano, Juli 2013
4 Responses to Teezeremonie: der Anfang und wie man die Zunge löst
Liebe Andelka, liebe Irina, liebe Silvia und lieber Suresh, natürlich auch alle anderen, aber die “kenne” ich ja noch gar nicht…..
Ich habe soeben einen Klappstuhl organisiert und gebacken habe ich auch. Mit anderen Worten: Eure lieben Willkommensgrüße haben mich erreicht, ich werde kommen und freue mich darauf!
Liebe Grüße an alle und bis morgen,
Dietlinde
Aber natürlich, Fiorella gilt auch mein/unser herzlichster Dank! Und die Vorfreude auf das Treffen bei Silvia ist groß…liebe Grüße an alle, Andelka
Liebe akrizano (was das wohl bedeutet?),
ich verwende hier ein vertrautes “Du”, falls es dir nicht recht sein sollte, dann lies bitte alle “Du’s” wie ein “Sie”…..
Deine Worte gefallen mir! Sie haben mich soeben derart angesprochen, dass ich spontan beschlossen habe, alles möglich zu machen, um am kommenden Samstag an eurem Treffen teilzunehmen…. falls ich willkommen bin. Es würde mich freuen.
Liebe Grüße
Dietlinde
Liebe Dietlinde,
“akrizano” ist ein notwendiges Kürzel aus einem ganz und gar sperrigen Vor- und einem noch viel sperrigeren Nachnamen (viele Konsonanten und noch viel mehr Sonderzeichen). Ich bin ein Mädchen, so viel steht fest.
Und das “Du” nehme ich von Herzen an.
Ich hoffe sehr, du kommst; deine Erzählung, wie deine Mutter die deutsch-indische Gesellschaft gegründet hat, aber auch deine Schilderung der Erlebnisse einer Nachkriegsgeneration erinnern mich seltsam an meine eigene Kindheit.
Hoffentlich auf bald,
Andelka (das d wie dsch wie in Jazz oder Dschungel)